Der
Käfig steht offen, aber die Tauben hocken regungslos - ganz so als
hätten sie ihre Freiheit nicht begriffen. Der Junge droht den Tauben
mit dem Stock, wie er es bei seinem Großvater gesehen hat, aber bei ihm
wirkt die Gebärde nicht. Wie schafft man es, andere Wesen dazu zu
bringen, das zu tun, was man sich von ihnen wünscht? Stefek (Damian Ul)
ist sieben Jahre alt und übt sich in den ersten Schritten auf dem Weg
zur Manipulation -- oder Magie. Kann es helfen, Zinnsoldaten zwischen
die Bahngleise zu stellen oder Münzen zu werfen, damit sein Vater
zurückkommt? Der hat die Familie nämlich wegen einer anderen Frau
verlassen. Ist er jener Reisende, der jeden Tag mit einer Aktentasche
auf dem Bahnhof steht? Stefeks Schwester Elka (Ewelina Walendziak) ist
mehr als ein Jahrzehnt älter als der Junge; sie herrscht ihren Bruder
an: "Es gibt keinen Papa! Ich bin deine Schwester und dein Vater". Dann
zeigt sie ihm aber doch ein paar Tricks, wie man das Schicksal
anschubsen kann. Elka liebt ihren kleinen Bruder so ruppig, wie es
große Geschwister tun, die sich für ein Familienfragment verantwortlich
fühlen.
"Kleine Tricks" ist kein Kinderfilm - so wenig wie Filme
von Louis Malle Kinderfilme sind, nur weil in manchen von ihnen Kinder
die wichtigsten Rollen spielen. Kinderfilm-Kinder sind meist
unangenehme Erscheinungen, weil sie die längst abgelegten, marktgerecht
aufgeblähten Fantasien erwachsener Regisseure verkörpern müssen.
Abenteuer, Zauberei, Größenwahn. Immer im vampirischen Zugriff auf die
Gefühle der kindlichen Zuschauer. Kinder wie Stefek kommen woanders
her: aus einer Erinnerung, die lebendig geblieben ist, mit allem
Schmerz, mit der Schläue, dem Vertrauen auf sich selbst. Sie sind
skeptisch, rätselhaft, beharrlich, unbestechliche Beobachter einer
Welt, die sie genau wahrnehmen und nicht bewerten.
Stefeks Welt
ist eine namenlose polnische Kleinstadt. Es ist Hochsommer, das
staubige Licht legt sich wie ein Filter vor die Augen. Der Romancier
Andrzej Stasiuk hat den Kosmos des vermeintlichen Stillstands der
polnischen Provinz in seinem Roman "Die Welt hinter Dukla" eindringlich
beschrieben, Andrzej Jakimowskis Film ist in seinen Bildern ebenso
sinnlich und genau, er verklärt nichts mit süßlicher Poesie. Es ist der
zweite Spielfilm des 1963 geborenen Regisseurs, der in "Kleine Tricks"
das ungleiche Geschwisterpaar von hochbegabten Laien spielen lässt.
Seine
Stadt ist so ungeliftet wie Zgorzelec, die polnische Seite von Görlitz.
Kein Ort für Hollywood. Die Fassaden sind schlammgrau, dazwischen
grelle Töne in den neuen Neon-Farben, die Straßen sind voller
Schlaglöcher, am Stadtrand lockt Elkas erhoffte Zukunft - ein
italienischer Investor hat ein spiegelndes Bürogebäude in die Brache
gestellt.
Elka verpasst ihre Chance, weil sie die Zeit vergisst,
aus dem Gleichgewicht gebracht von der Obsession des Bruders. All die
einander sanft anvertrauten Figuren dieses Films geraten durch den
Fremden ins Straucheln. Elkas Freund Jerzy (Rafal Guzniczak) wird mit
seinem Chevrolet ohne Räder nicht fertig, die dralle Blonde aus der
Nachbarschaft verliert ihre Einkäufe, der Mann seine Aktentasche.
Schließlich betritt der Fremde den Laden der Mutter. Die Rückkehr des
verlorenen Vaters? Haben die Tricks doch gewirkt? Andrzej Jakimowski
lässt die Antwort in der Schwebe. Kinder erfinden das Ende gern selbst.
Kleine
Tricks (Sztuczki) Polen 2007. Drehbuch und Regie: Andrzej Jakimowski,
Kamera: Adam Bajerski, Schnitt: Cezary Grzesiuk, Musik: Tomasz
Gassowski, Darsteller: Damian Ul, Ewelina Walendziak, Rafal Guzniczak
u. a.; 96 Minuten, Farbe.
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Foto: Stefek (Damian Ul) hält diesen Mann (Tomasz Sapryk) für seinen Vater.