Kinofilm "Kleine Tricks"

Ein perfekter Sommer ohne Tui und Langnese

Von Matthias Wulff, 21 July 2009

Ein Film über Sommerferien in einer polnischen Grubenstadt weckt bedrückende Erwartungen. Doch "Kleine Tricks" versteht die Täuschung: Er ist ungemein liebenswert, intelligent und undramatisch – und dennoch weit davon entfernt, zur seichten Unterhaltung zu verkommen.

In "Kleine Tricks" - dem neuen Kinofilm des polnischen Regisseurs Andrzej Jakimowski - geht es um den perfekten Sommer, Liebe und Kindsein. Polnische Filme sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Der Zuschauer stellt sich auf düsteren Realismus ein, auch ein wenig verrätselt und intellektuell; vor allem wenn der Film in einer Grubenstadt spielt. "Kleine Tricks" enttäuscht diese Erwartungen; er ist so wohltuend anders.

Es geht um Sommer und Kindsein, um die Liebe und die Suche nach dem Glück; eine Kombination, die nach allen bekannten Gesetzen des Filmhandwerks entweder zu einem schnulzigen oder albernen oder belanglosen - zuweilen kommt auch alles zusammen - Streifen führt.

"Kleine Tricks" bricht alle Regeln: Er zeigt, dass ein liebenswerter, heiterer und undramatischer Film nicht automatisch seicht sein muss. Dies ist vielleicht sein größter Trick: Indem er ein Naturgesetz der abendländischen Kultur, die nur im Leiden eine tiefere Bedeutung erkennen kann, widerspricht, führt er den Zuschauer immer wieder in die Irre. Der Rahmen dabei ist nicht sonderlich kompliziert: Stefek ist ein blonder, aufgeweckter, recht ernsthafter siebenjähriger Junge. Er hat Ferien und tut die Dinge, die ein Junge tun muss: Stefek streunt auf Bahngleisen, er versucht Zuchttauben aus dem offenen Käfig zu treiben, er spielt mit zwei Astgabeln Batman und er passt auf, dass seine 18-jährige Schwester Elka nicht an den falschen Typen gerät.

Stets ist er beschäftigt, zum Teil in der eigenen Kinderwelt und zum Teil Beobachter des Erwachsenenlebens. Auf dem Bahnsteig sieht er einen Mann, der sein Vater sein könnte. Kennengelernt hat er ihn nie. Nur sein Porträtbild trägt er mit sich, das jedoch bekritzelt und durchlocht und nur bedingt hilfreich ist.

Vergebliches Warten auf die Katastrophe Stefek beobachtet Tag für Tag den Mann (der auf irritierende Weise dem früheren Sat.1-Chef Roger Schawinski ähnelt) und fragt sich, ob dieser Mann mit Aktentasche, der gern Frauen hinterherschaut und mit ihnen flirtet, einst seine Mutter verlassen hatte.

Seinen Vielleicht-Vater schaut er interessiert, doch neutral an; und erst als er Münzen auf die Gleise wirft, wie andere sie in den Brunnen werfen, ahnt der Zuschauer, dass er sich nach seinem Vater sehnt.

"Kann man das Glück zwingen?", fragt Stefek ziemlich gegen Ende des Films seine Schwester, und stellvertretend würde Regisseur und Drehbuchautor Andrzej Jakimowski die Frage wohl mit "eher ja, aber man muss es schon sehr wollen" beantworten. Denn Stefek arbeitet fest und unbeirrbar seinem Ziel entgegen, während Elka die letzte Entschlossenheit fehlt.

Sie will zwar einen, nicht näher erklärten Job mit Italienischkenntnissen bekommen, aber die kleinen Tumulte des Alltags lenken immer wieder ab. So arbeitet sie weiter als Tellerwäscherin in einem Gartenlokal, in dem junge Menschen gekleidet in der Mode von gestern und tanzend zur Musik von vorgestern unter Girlanden sich treffen.

Wenn Elka dann spätabends von der Arbeit nach Hause geht, wird sie immer wieder gewarnt, sie solle ja aufpassen. Nun nimmt die Katastrophe aber seinen Lauf, denkt der Zuschauer. Doch er wird getäuscht und erfährt stattdessen von einer Welt, die ihm in Filmen, in der Kultur allgemein, verschlossen bleibt.

In ihr leben Menschen ohne Mord, Niedertracht, Geschrei, Sinnsuche und Dramen: Stefek turnt auf den Bahngleisen rum, ohne dass ihn ein Zug erfasst. Ein Penner schlendert um das Geschwisterpaar herum, ohne dass er pöbelt. Elka und der Automechaniker Jerzy nähern sich an, ohne dass Besitzansprüche, große Worte und packende Leidenschaft zu spüren ist.

Ganz anders als TUI- und Langnese-Werbung

Der Film hat viele Gabelungen und Jakimowski deutet immer wieder an, in welche Richtung sein Werk hätte gehen können, um mit dem unter europäischen Regisseuren üblichen "verstörend-realistischen Blick" die Zersetzungen im Alltagsleben zu beschreiben. Vor allem eignen sich die vorgefundenen Zutaten wie heruntergekommene Kleinstadt, alleinerziehende, x-fach belastete Mutter und vernachlässigter kleiner Sohn hervorragend für ein sozialkritisches Melodram. Jakimowski betritt nicht die durchgelatschten Wege; er wählt die richtigen Abzweige, indem das Leben einfach passiert.

Sein Film erzählt, was einen perfekten Sommer ausmacht, der anders aussieht als TUI- und Langnese-Werbung suggerieren: zusammengekniffene Augen in glitzernder Sonne, Schwimmen im Bach, endlos helle Abende, Schlurfen in Badelatschen, Motorradfahren ohne Helm, eine schüchterne Liebe und Dinge tun, die man sich an einem kühlen Herbsttag gründlicher überlegt hätte.

Beständig läuft ein eigener Film nebenbei, eine Rückschau auf die eigene Kindheit, in der die Tage endlos waren.

Jakimowski hat Laiendarsteller ausgewählt, die unprätentiös und unaufdringlich auftreten. Wenn Elka weint, dann fließen ihr stumm einige Tränen über die Wangen; sie unterstützt die Trauer nicht durch ein extra verzweifeltes Gesicht, noch hält die Kamera es lange fest.

Ewelina Walendziak, die Elka spielt, sieht, wie Mutter und ihre Arbeitskollegin es sagen, "umwerfend" aus. Sie ist die polnische Antwort auf Scarlett Johansson - in der zierlicheren, zurückgenommeneren und jüngeren Version. Es fällt einem auf, wie wichtig doch angenehme Gesichter für das Gelingen eines Films sind. Keine neue Erkenntnis, zugegeben, aber sie geht gelegentlich verschütt.

online :
http://www.welt.de/kultur/article4155458/Ein-perfekter-Sommer-ohne-Tui-und-Langnese.html